Simone Menne

"Menschen, die keine Macht wollen, sollten in Führungsverantwortung"

Simone Menne hat Geschichte geschrieben in Deutschland: Sie war die erste Frau, die es in den inneren Führungskreis eines der größten deutschen Unternehmen geschafft hat, den Vorstand eines DAX-Unternehmens mit rund 130.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 35 Milliarden Euro im Jahr 2017. Bei Lufthansa arbeitete sie insgesamt 27 Jahre, zuletzt als CFO (Chief Financial Officer). In dieser Funktion hatte sie im engen Schulterschluss mit dem CEO, also dem Vorstandsvorsitzenden, großen Einfluss auf strategische Entscheidungen. Eine mächtige Frau. Und eine starke Frau. Eine Frau, die sich in Männerrunden beweisen muss. Man würde meinen, dass sie schon früh und zielstrebig auf diese Karriere hingearbeitet haben musste. Und entweder im Umgang mit Zahlen besonders talentiert, zumindest aber besonders fleißig sein musste. Weit gefehlt. Und genau das macht sie so sympathisch.

In Mathe war ich nie gut

„In der Oberstufe hatte ich Deutsch und Französisch als Leistungskurse, in Mathe und Physik war ich nie gut“, erzählt Simone Menne, die heute zu den wichtigsten Finanz-Expertinnen in Deutschland zählt. Die Noten, auch der Abiturschnitt, waren nicht rekordverdächtig. Simone war Klassensprecherin, grundsätzlich „eher laut“ und habe mit mündlicher Beteiligung „alles rausgerissen“. Auch beim Volleyball war sie Mannschaftssprecherin. Die Eltern haben ihr stets das Gefühl gegeben, alles zu schaffen, wenn sie nur will. Vorbildfunktion hatte insbesondere ihre Mutter, die auch immer gearbeitet hat, in einer kleinen Buchhaltung. Als Simone Menne geboren wurde, habe der Chef zur Mutter gesagt, sie werde dringend gebraucht und solle das Kind einfach mit zur Arbeit bringen. Fortan wuchs die kleine Simone tagsüber zwischen Aktenordnern und Rechenmaschinen auf, manchmal nahm der Chef sie auch mit zu Terminen. Die Mutter war es auch, die Simone eingebläut hat, wie wichtig es ist, als Frau immer eigenes Geld zu verdienen und sich nicht von Männern abhängig zu machen.

Kindern das Gefühl geben „Du kannst das!“

Schon früh entdeckte Simone Menne ihre Leidenschaft und ihr Talent für Kunst. Diese Neigung hatte sie von ihrem Vater geerbt, der manchmal mit ihr zusammen an Kunstwerken arbeitete.Gerne hätte sie beruflich eine künstlerische Richtung eingeschlagen, „Ich wollte Goldschmiedin werden“. Der Vater aber, der selbst als Industriemeister einem soliden Beruf nachging, riet ihr eindringlich, etwas „Richtiges“ zu lernen. Simone Menne war immer experimentierfreudig und hat sich etwas zugetraut. Dies führt sie auf ihre Erziehung zurück: „Meine Eltern haben mich immer motiviert, dass ich alles kann, wenn ich will. Dass sie mich in meinem Wunsch, Künstlerin zu werden, nicht gerade gefördert haben, ist ein anderes Thema.“ Nach dem Abitur mit 17 – auf Basis eines überdurchschnittlich guten IQ-Tests konnte man in ihrer Schule im Rahmen eines Pilotversuches eine Klasse überspringen – absolvierte sie zunächst eine Ausbildung zur Steuerberatergehilfin. Es habe ihr durchaus Spaß gemacht, selbst Verantwortung für die Steuererklärungen kleiner Unternehmen zu übernehmen. „Und wenn man mal was versemmelt hatte, musste man das auch selbst wieder ausbaden und den Klienten erklären“, erinnert sich Menne, „Das war durchaus gut für die Persönlichkeitsbildung“.

Hinter dem Horizont geht noch mehr

Nach der Ausbildung zur Steuerberatergehilfin konnte sich Simone Menne nicht vorstellen, ein Leben lang Steuererklärungen zu prüfen: „Ich wusste aber nicht wirklich, was ich stattdessen machen soll – etwas mit Kunst war ja tabu.“ Deshalb schrieb sie sich schließlich in ihrer Heimatstadt Kiel an der Universität für das Fach Betriebswirtschaftslehre ein, zumindest hatte das eine gewisse Konsistenz mit ihrer Ausbildung. Das Studium hat ihr dann aber keinen Spaß gebracht, sie habe nur gemacht, was notwendig ist. „Ich bin kein Zahlenmensch und muss Zahlen wirklich pauken“, so Menne. „Ich war gut in Statistik, das fand ich spannend und wichtig. Wozu man Wurzelziehen im Leben und Job braucht, verstehe ich bis heute nicht“. Nach dem Studium wollte Simone Menne dann raus aus der überschaubaren Hafenstadt im Norden Deutschlands. Sie bewarb sich in Frankfurt am Main bei dem amerikanischen Mischkonzern ITT und bekam einen Job in der Revision. Eine Voraussetzung für die Einstellung waren gute Englischkenntnisse. „Mein damaliger Chef sagte mir später mal, er habe mich TROTZ meiner englischen Sprachkenntnisse genommen“, scherzt Menne. Nach drei Jahren wurde sie unruhig und wollte sich weiterentwickeln. Das Englisch war inzwischen hervorragend.

Ausgetretene Wege verlassen

Simone Menne bewarb sich auf eine Stellenausschreibung der Lufthansa und rechnete sich wenige Chancen aus, überhaupt eingeladen zu werden. Wieder ging es um die Position eines Finanz-Revisors. An der Stelle reizte sie insbesondere die Reisetätigkeit, denn in einem global tätigen Unternehmen versprach der Job auch Auslandseinsätze in Australien, Amerika oder Asien. Zu ihrer großen Überraschung wurde Simone Menne eingeladen und fand sich plötzlich im engeren Kreis der Bewerber. „Damals traf ich auf Christoph Müller, der heute in führender Funktion bei der Airline ‚Emirates‘ ist, und sich ebenfalls auf die Stelle beworben hatte“, erinnert sich Menne. Er war groß, attraktiv, selbstbewusst, gewinnend – und ein Mann. Und Menne dachte, das Rennen sei gelaufen. Aber nein, die Lufthansa stellte beide ein. Es war eine großartige Zeit für die Finanzfrau, die es liebt, zu reisen und neue Länder und Menschen kennenzulernen. Nach einiger Zeit bewarb sie sich dann auf eine für drei Jahre ausgeschriebene Auslandsposition bei Lufthansa in Lagos, Nigeria. Keine Destination für zarte Gemüter, aber für Simone Menne war es ein Traum. Sie hatte unglaubliche Freiheitsgrade in ihrer Position, lernte spannende Menschen kennen, Aussteiger und Freigeister, und reiste viel durch Westafrika. „Natürlich konnte man die Augen nicht verschließen vor der grausamen Armut und Kriminalität um einen herum“, so Menne. Bettler, Leprakranke, hin und wieder Leichen auf der Straße gehörten zur täglichen Realität. Nach den drei Jahren wurde ihr eine Position in Amsterdam angeboten, die sie aber ablehnte, da „zu langweilig“. Lieber wäre sie noch in Lagos geblieben. „Ich mag das Risiko und ich traue mir etwas zu“, erklärt Menne.

Mit Persönlichkeit und Können durch die „gläserne Decke“

Nach Lagos folgte dann eine Position in Norderstedt bei Hamburg. Simone Menne wurde Geschäftsführerin   der Tochter Lufthansa Revenue Services . Hier war sie aber nicht so erfolgreich und hatte Misserfolge bei einem IT Projekt, was zur Absetzung führte. Also  ging sie wieder ins Ausland als Finanzchefin  der Außenorganisation der Lufthansa , zuerst in Paris, danach in London, die sie sehr erfolgreich ausfüllte. Sie wechselte dann noch mal zur Lufthansa Technik, ein Industriebetrieb, um beim Sanierungsfall British Midland die Rolle des CFO zu übernehmen. Geld habe in ihrem Berufsleben nie eine besonders große Rolle gespielt, so Menne. Vielmehr finde sie, Vorstände verdienten  zu viel und hat auch daraus nie einen Hehl gemacht. Deshalb hat sie bei British Midland ihre Firmenzugehörigkeit und die Rentenansprüche der Lufthansa aufgegeben, um authentisch mit den Mitarbeitern dort, die Sanierung zu versuchen und schließlich schweren Herzens den Verkauf zu organisieren. Damals  hat sie auch auf den Bonus als Finanzchefin verzichtet. Das,  neben der Bereitschaft schwierige Aufgaben zu lösen, habe dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden und vorherigen CEO der Lufthansa Jürgen Weber imponiert. Und 2012 bot er ihr dann den CFO-Posten im Konzernvorstand an. Auch wenn sie nicht wusste, wie ihr geschah, nahm sie das Angebot an. „Schließlich bin ich auch ein klein wenig eitel“, allerdings auf eine andere Art als viele männliche Mitbewerber. „Ich finde es schön, geschätzt zu werden und Anerkennung zu erfahren“, so Menne. „Ein großes Auto oder einen Fahrer bräuchte ich hingegen nicht“. Mit der neuen Position war Simone Menne die erste Finanzchefin eines DAX-Unternehmens in Deutschland.

Und damit hat sie die so genannte gläserne Decke durchstoßen – die unsichtbare Barriere, auf welche die meisten Frauen im Laufe ihrer Karriere immer noch stoßen. Diese Barriere bedeutet normalerweise das Ende der Laufbahn schon im mittleren Management, auch wenn die Qualifikation für Höheres sprechen würde. Gründe für eine solche „gläserne Decke“ liegen in einer noch immer starken Bevorzugung von männlichen Kollegen bei der Auswahl von höheren Positionen. Um diese gläserne Decke durchbrechen zu können ist es wichtig, Mädchen schon früh beizubringen, ihre Möglichkeiten und Talente auszuschöpfen und ihre Ziele zu verfolgen. Auch ist es notwendig, dass Frauen in Führungspositionen Vorbildfunktionen für junge Mädchen übernehmen und diese darin bestärken, die Barriere nach oben zu durchbrechen. Frauen wie Simone Menne, die sich engagiert für die Chancengleichheit von Frauen in Führungspositionen einsetzen.

(c) Lufthansa / Oliver Roessler

Keine Angst vor „Männerzirkeln“, der eigenen Courage und fähigen Mitarbeitern

Während Mennes Zeit als CFO im Vorstand gab es dann wieder eine „gläserne Decke“, denn bis zum heutigen Tage gibt es noch immer keinen weiblichen CEO eines deutschen DAX-Unternehmens. Die Frage ist, wann mit der Position des Vorstandsvorsitzenden eine der letzten Männerdomänen tatsächlich fällt. In den Köpfen vieler Entscheider ist die Frau immer noch eine Quotenbesetzung in den „Tafelrunden der männlichen Ritter“, keinesfalls jedoch geeignet für die Rolle des „Königs“. Bezeichnend sei dabei auch in vielen Fällen die Einstellungspolitik von Führungskräften, erläutert Menne. Bevor man Mitarbeiter einstellt, die einem durch ihre Qualifikation gefährlich werden könnten, entscheidet man sich lieber für so genannte „Metoos“, also kleine Abbilder von sich selbst. Da könne man stets mithalten und den Überblick behalten, ob das jedoch das Unternehmen weiterbringt, stehe auf einem anderen Blatt. Das sei überkommener Führungsstil. Heute geht es vielmehr darum, die besten und innovativsten Mitarbeiter zu gewinnen, die das Unternehmen voranbringen im Wettbewerb. Außerdem gilt es, Mitarbeiter zu fördern und ihr Potenzial auszuschöpfen. „Im Prinzip sollten Menschen Macht und Führungsverantwortung bekommen, die keine Macht wollen“, betont Menne. Wie zum Beispiel Eltern oder Lehrer als Quereinsteiger. Denen geht es darum, das Beste aus den Kindern herauszuholen und sie zu fördern – egal, ob Jungs oder Mädchen. Analog zum CEO oberhalb der „gläsernen Decke“ sind zum Beispiel die Positionen Chefarzt und Flugkapitän zu nennen, in denen Frauen noch immer eine Seltenheit sind. Anders in der Politik: mit Angela Merkel haben wir seit 2005 in Deutschland zumindest die erste Bundeskanzlerin! Simone Menne hat nie hinter dem Berg gehalten, dass sie sich noch mehr als CFO zutraut. „Ich kann auch CEO“, ist sie überzeugt. Beim nächsten Staffelwechsel entschied sich der Aufsichtsrat von Lufthansa jedoch wieder für einen Mann für die höchste Position im Konzern.

Nach insgesamt fünf Jahren als CFO bei der Lufthansa, danach bei dem pharmazeutischen Unternehmen Boehringer Ingelheim, zog Menne sich 2017 aus dem operativen Geschäft zurück. Sie ist heute noch in vier Aufsichtsräten aktiv, unter anderem bei BMW und der Deutschen Post DHL, darüber hinaus beratend tätig, insbesondere als Expertin für Finanzen und Digitalisierung. Letzteres ist ihr Steckenpferd, da sie bereits früh die Bedeutung der Digitalisierung für die Industrie erkannt und sich zu einer geschätzten Expertin entwickelt hat. Ganz besonders am Herzen liegt Simone Menne aber ihre eigene Galerie in ihrer Heimatstadt Kiel. Sie will sich dort vorwiegend dem Nachwuchs widmen und jungen Künstlern eine Plattform geben. Aber auch sie selbst hat jetzt wieder mehr Zeit, um sich künstlerisch zu verwirklichen, worüber sie sehr glücklich ist. Ein Jugendtraum, der am Ende doch noch wahr wurde.

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Simone Mennes Blog Post Lessons I would like to share with my younger self

Mehr Infos unter www.simonemenne.de

 

Simone Menne ist seit 2018 Mentorin der FollowYourTalent Stiftung.