Wie wäre es denn mal mit Liebe?

„Der Schrei nach Liebe“ – einer meiner Lieblingssongs von den Toten Hosen. Und das größte Defizit meiner Kindheit. Heute möchte ich darüber erzählen und wie mich dieses ungestillte Bedürfnis nach Geborgenheit bis heute prägt.

Mit meiner heutigen Reflektion weiß ich, dass meinen emotionalen Ausbrüchen in meiner Kindheit und Pubertät ein Defizit an Liebe zu Grunde lag. Damals war mir das Bedürfnis allerdings nicht im Bewusstsein. Vielmehr war es ein Verlangen, welches ganz tief in mir verankert war, aber in Begriffe wie Liebe und Geborgenheit konnte ich es nicht fassen, was es mir sehr erschwerte, mein Bedürfnis zu artikulieren und zu kommunizieren.

Normalerweise sollte es nie so weit kommen, dass ein Kind Verhaltensauffälligkeiten an den Tag legt, weil es diese als letzte Möglichkeit ansieht, um auf sein Liebesbedürfnis aufmerksam zu machen. Passiert trotzdem oft genug. Natürlich ist das nicht die Lösung für alle Kinder mit ADHS, aber ich bin überzeugt, dass es oft der Grund zur Fehldiagnose ist. Im Übrigen wurde auch in meinem Fall versucht dies medikamentös zu behandeln.

Symptombekämpfung. Gratulation.

Als Folgen bzw. Äußerungsformen des Liebesdefizits kann ich bei mir einen viel zu geringen Selbstwert, Scham für mich selbst, Traurigkeit, Misstrauen und eine allgemeine Gefühlskälte feststellen. Ich glaube bei vielen Kindern, die mit mir in den Institutionen gelebt haben, war das Defizit auch Ursache für erhöhte Gewaltbereitschaft. Für daraus resultierende Handlungen wurden sie bestraft, dabei war es eine indirekte Äußerung ihres Wunsches nach Liebe. Ich kann mich noch haargenau daran erinnern, dass ich voller Trotz gehandelt habe, mir aber nichts sehnlicher gewünscht habe als Liebe (z.B. habe ich geschrien, wollte aber eigentlich nur umarmt werden. Anders hätte ich die Aufmerksamkeit nicht bekommen, umarmt wurde ich natürlich trotzdem nicht). Heutige Folgen sind Misstrauen, eine emotionale Kältemauer, durch die es nur richtig wenige Menschen schaffen und die Tendenz zur Einsamkeit. Ich muss mit vollem Bewusstsein planen, wie ich mich sozialisiere – intuitiv würde ich vereinsamen.

Im Übrigen hatte ich in meiner Heimzeit  auch einen Freund. Mein Liebesbedürfnis hat sich dann so bemerkbar gemacht, dass ich total abhängig war. Sprich, sobald ich mal eine ‚Liebesquelle‘ gefunden hatte, konnte ich nicht damit umgehen. Auch heute würde ich mich niemals auf eine Beziehung einlassen, da ich erstmal eine solide Basis an Geborgenheit brauche, um nicht wieder in totale Abhängigkeit zu rutschen. Auf der anderen Seite ist Liebe das einzige Mittel, um die Langzeitfolgen wie die Kältemauer zu bekämpfen.

Und daran arbeite ich Tag für Tag.