Mittlerweile ist es Juli 2022, der Sommer hat begonnen und ich studiere bereits ich zweiten Fachsemester Medizin. In den letzten Monaten hat sich bei mir viel verändert, ich habe viele neue Erkenntnisse gewonnen, aber es haben sich auch einige neue Fragestellungen ergeben. Dazu möchte ich heute ein bisschen schreiben.
Erkenntnis numero uno:
Schminken ist im Medizinstudium Zeitverschwendung. Für Partys und Dates okay, für den Alltag m.E. übertrieben unnötig 😉
Aber nun im Ernst…
Erkenntnis eins:
Der Beruf einer praktizierenden Ärztin ist bestimmt einer der schönsten, den unsere Welt zu bieten hat. Vor allem, wenn man mit Leidenschaft dabei ist. Oder vielleicht auch gerade dann. Ich will nicht ausschließen, später auch zu gewissen Anteilen zu praktizieren (im Sinne der Individualmedizin). Jedoch merke ich schon jetzt, dass ich mich vermutlich nicht alleine auf die Berufsausübung als praktische Ärztin festlegen werde. Ich möchte mir die Freiheit nehmen meinem Herzen zu folgen und meiner persönlichen Entwicklung freien Lauf zu lassen. Wie niemals zuvor bemerke ich in meinem Leben wie sich aktuell meine Interessen weiten und verändern. Ich entdecke mein Interesse an Kunst, an der Philosophie, an der Musik, an Kultur… Vielleicht werde ich ja „medizinische Künstlerin“. Ein bislang undefinierter Beruf. Vielleicht genau meiner, mal schauen.
Meinem Ziel, ein Gesundheitsbewusstsein in der Gesellschaft etablieren zu wollen, bin ich mit ganz kleinen Schritten ein Stückchen nähergekommen: Im Rahmen meiner Vorklinischen Arbeit habe ich mich wissenschaftlich mit dem „Metabolischen Syndrom“ auseinandergesetzt. Das ist ein wohlstands- sowie lebensstilbedingter Krankheitskomplex, von dem circa ein Fünftel unserer Gesellschaft betroffen ist. Ich fand es zu schade, dass meine Arbeit nur auf dem Computer gespeichert bleibt und keinen gemeinschaftlichen Nutzen mit sich bringt. Deshalb habe ich auf Grundlage meiner Vorklinischen Arbeit in den Semesterferien ein laienverständliches Referat sowie eine Broschüre dazu entwickelt. Ein netter Nebeneffekt war, dass ich mich in meiner Kreativität austoben, sowie die Kompetenz zu referieren und etwas grafisch zu designen, trainieren konnte. Für das Referat und die Broschüre habe ich inzwischen schon viel positives Feedback erhalten. Das war eine schöne Erfahrung.
Erkenntnis zwei:
Vermutlich lebe ich wohl für immer etwas „familiär defizitär“. Krasse These, ich weiß.
Durch viel Nachdenken und reflexive Gespräche ist mir bewusst geworden, dass die Ursprungsfamilie immer (zu variablen Anteilen) im Leben eines jeden Menschen bleiben wird. Normalerweise. In meinem Fall sind es eben Zeiten und „emotionale Käselöcher“, die es zu füllen gilt. Es hat mir geholfen, mir bewusst zu machen, dass ich vielleicht in meiner Welt, aber definitiv nicht auf diesem Planeten die einzige Person bin, die weniger familiären Rückhalt zu schätzen wissen darf als gesellschaftlich „üblich“. Ich habe erkannt, dass es in meiner Verantwortung liegt und somit MEINE Aufgabe ist, diese Defizite zu kompensieren.
Großen Wert lege ich auf tiefe Freundschaften und Bindungen mit Menschen, die mich schon lange und gut kennen. Zudem betrachte ich meine freie Zeit auch als Geschenk, ich kann Vieles auf der Welt alleine erkunden und das tiefe Glück kann man doch ohnehin nur in sich selbst finden. Klingt spirituell dahingeschrieben, aber ich versuche wirklich danach zu leben 😀 Aber mal im Ernst, meinen Selbstwert gedanklich von meiner familiären Herkunft zu entkoppeln war ein unbezahlbarer Entwicklungsschritt. Den ich stets noch gehe.
Zeit alleine, schön und gut. Im Kontrast dazu jedoch
Erkenntnis drei:
Alleine in einer eigenen Wohnung zu wohnen ist nicht die Lebensform, bei der ich mich am wohlsten fühle. Deswegen bin ich bereits im März aus meiner Wohnung ausgezogen und wohne seitdem in WG´s zur Zwischenmiete, bis ich eine WG gefunden habe, in der ich einziehen und mich wohlfühlen kann. Denn das direkte Umfeld kann besonders in meinem Fall schon viel dazu beitragen das familiäre Defizit etwas zu kompensieren.
Letzte Erkenntnis:
Ich fühle mich durch die Erfahrungen in meinem Leben nicht unbedingt immer wie Zweiundzwanzig, mein aktuelles Alter. Und das ist gut so, ja sogar ein Geschenk. Natürlich gehe ich auch gerne mal feiern, wie es sich für meine derzeitige Lebenssituation als Studentin „gehört“. Aber daneben habe ich Freude daran, mich schon jetzt mit Themen auseinanderzusetzen, die man vielleicht üblicherweise erst in späteren Lebensjahren für sich entdeckt. Ich gehe gerne alleine in Museen, interessiere mich für Kunst und spirituelle Dinge. Wichtig ist, dass ich mir Raum und Energie dafür nehme diesen Interessen nachzugehen und mich so allumfänglich auszuleben. Ohne schlechtes Gewissen oder Traurigkeit darüber die ein oder andere Party vielleicht zu verpassen.
Und wenn ein „emotionales Käseloch“ mal wieder am Start ist, dann verurteile ich mich selbst aber auch nicht, gedanklich vielleicht für ein paar Stunden mal wieder „Kind“ zu sein. Dass meine Interessen sowie meine persönliche Entwicklung und mein biologisches Alter aufgrund meiner Historie manchmal auf unterschiedlichen Stufen sind, war eine wichtige Erkenntnis, die mir erklärt hat, warum ich oftmals nicht dem Durchschnitt der Studenten in meinem Semester entspreche. Noch wichtiger aber ist die Erkenntnis, dass das gut so ist und dass darin auch enorme Potentiale für meine ganz persönliche Lebensgeschichte und Erfolge liegen.