Corona-Intensiv-Station

Ich erinnere mich noch gut daran, wie erschöpft ich in der ersten Woche war. Dies mag zunächst auch dem frühen Aufstehen geschuldet sein 😉

Vielmehr aber war es für mich eine psychische Herausforderungen gewesen, mit dem gegenwärtigen Leid und Tod umzugehen.

Man sollte wissen, dass ich bis auf ein Mal im ersten Teil meines Pflegepraktikums in einem anderen Krankenhaus noch nie eine Leiche gesehen habe oder in ähnlicher Weise mit den Tod konfrontiert war. Dementsprechend groß war der Kontrast und ich musste zunächst beginnen, eine gesunde Distanz zu den Geschehnissen auf Arbeit zu erlernen, die trotzdem genug Raum bietet, meine Menschlichkeit und Liebe auf Station zu entfalten.

Genauso erinnere ich mich, wie ich mit all meinen Sinnen das Leid bzw. den Tod dort wahrgenommen habe. Im Zimmer liegt meist ein sehr spezieller Geruch in der Luft, den man trotz FFP3-Maske riecht. Die meisten Patienten sind recht bleich, fühlen sich, wenn sie nicht gerade fiebrig sind, sehr kalt an. Sie sind nicht kontaktierbar und quasi schamlos der Medizin und Pflege ausgeliefert.

Mittlerweile relativierte sich meine intensive Sinneswahrnehmung. In den ersten Tagen hatte ich zudem etwas Hemmung den Patienten direkt zu berühren, trotz Schutzkittel, Haarhaube, Maske, Handschuhe sowie Schutzbrille, versteht sich, aber auch das legte sich im Laufe der Zeit. Der Gedanke, dass man einen mit Covid-19-infizierten Patienten pflegt ist nun gar nicht mehr wirklich im Bewusstsein während ich meine Tätigkeiten ausübe und meine Hemmungen sind vollständig verschwunden.

Ich lernte den Wert der Teamintelligenz, sprich des kollegialen Zusammenhaltes, gegenseitige Unterstützung und die Tatsache, dass man nur im Team gewinnen kann, viel stärker zu schätzen.

Gleichzeitig musste ich aber ernüchternd feststellen, dass die Hierarchie selbst auf der Pandemie-Station noch vorhanden war. Ein Beispiel dafür ist, dass eine Reinigungskraft, als ich sie nach ihrem Namen fragte, mir total verwundert zunächst entgegnete, dass sie doch nur putze.

Ich durfte bisher eine bunte Vielfalt an Charakteren im Personal kennenlernen, sodass ich davon überzeugt bin, dass es genau diese Vielfalt ist, die es bedarf.

Einmal habe ich einen Pfleger gefragt, was uns denn noch von einer Palliativ-Station unterscheidet, immerhin sterben gut 90% der Patienten, die bei uns liegen. Seine Antwort war: “Nichts. Nur, dass das Sterben bei uns viel länger dauert, weil noch viel experimentiert wird.” Die Ärzte wissen noch so wenig über Covid-19, da würden manche noch versuchen – auch wenn es noch so erfolglos aussieht – die Therapie über Wochen zu ziehen, man weiß ja nicht ob noch eine plötzliche Besserung komme…

Viele der Patienten haben WAROT – Warten auf Reha oder Tod… also die Abkürzung für das Warten auf Veränderungen bei der Therapie..

Diese große Erfolglosigkeit bei der Patientenbehandlung ist auch Ursache für ein hohes Level an Frustration beim Pflegepersonal. Ich spüre diese negative Energie, die da in der Atmosphäre herrscht extrem und bin froh, oft auf die ausgeweitete Zusatzstation eingeteilt zu werden. Diese liegt etwas abgegrenzt und ist kleiner, was die Anzahl der Patienten betrifft. Dementsprechend ist die negative Stimmung etwas weniger präsent.

Innerhalb des Krankenhauses war ich auch überrascht, dass teilweise Arbeitskräfte, die aufgrund des Personalmangels gebeten werden, temporär auf der Corona-Station auszuhelfen, nicht zum Dienst kommen.

Aber das ist generell ein Aspekt, der mich am gesellschaftlichen Zusammenhalt zweifeln lässt.. wir scheinen nicht mal in so einer Ausnahme-Situation so flexibel zu sein, dass wir Arbeitskräfte aus anderen, teils sogar verwandten Branchen, generieren, um am Brennpunkt auszuhelfen. Natürlich muss eine gewisse Kompetenz derer sichergestellt werden, aber ich habe bisher erst einmal von der umgesetzten Idee gehört, dass man Menschen, die wegen der Maßnahmen nicht ihrer eigentlichen Tätigkeit nachgehen können, die Möglichkeit bietet, dort wo Hilfe nun am dringendsten gebraucht wird, zu arbeiten.

Die Erfahrungen ließen zudem mein Verständnis für die Maßnahmen im privaten Rahmen wachsen, auch wenn ich – wie vermutlich jeder von uns – nicht frei bin von inneren Konflikten zwischen egoistischen Interessen und dem solidarischen Gedanken an das Wohl unserer Gesellschaft.

Ich habe als Folge meines Praktikums erstmals erfahren, wie sich Diskriminierung anfühlt. Der Kieferorthopäde, bei dem ich einen festen Termin hatte, weigerte sich nämlich mich zu behandeln, nachdem ich wegen des Corona-Fragebogens (genauer wegen der Frage nach Kontakt zu infizierten Personen) kommunizierte, wo ich arbeite. Als ich das später meiner Stationsleiterin erzählte, meint sie, dass ich das einfach hätte verneinen sollen, da damit nur nach Kontakt im privaten Bereich gefragt sei. Schwierige Angelegenheit. Von den Pflegekräften, denen ich davon erzählte, war jedoch jeder „auf meiner Seite“.

Auf der einen Seite bin ich äußert dankbar, dass ich so viel medizinischen Lerninput bekomme und an sich diese einzigartige Chance der Lebenserfahrung, dort zu arbeiten, wahrnehmen darf. Auf der anderen Seite bin ich etwas enttäuscht, dass ich, weil ich nur temporär dort bin, mich nicht impfen lassen durfte als noch Impfstoff da war.

Ich selbst habe zwar keine Angst vor einer Covid-19-Erkrankung, erachte jedoch die möglichen Langzeitfolgen einer vielleicht sogar unbemerkten Infektion als riskanter im Vergleich zu den überschaubaren Impfrisiken. Meine Ansicht.

Eine Frage, die ich, weil ich dort arbeite, auch öfters gestellt bekomme ist: „Stimmt es, dass da nur alte Leute mit Vorerkrankungen liegen?“ Jein, wir haben auch junge oder Patienten ohne Vorerkrankung.

Ich frage mich zunächst was die Ursache dieser Nachfrage ist? Einmal hatte ich deshalb eine Auseinandersetzung, weil ich gegen die Auffassung bin, dass die Pandemie eine natürliche Selektion nach Darwin (Recht des Stärkeren) darstellt. Zugegeben, diesen Gedanken hatte ich auch bereits, doch bei weiteren Überlegungen kam ich darauf, dass es gar verwerflich ist dem Menschen so einen mathematisch rationalisierten Wert zuzuschreiben. Ist das Leben alter oder vorerkrankter Leute weniger wert? Sicherlich nicht. An dieser Stelle führe ich gerne den Vergleich zu Stephen Hawking an. Er würde sicher keinen milden Verlauf einer Covid-19-Infektion erleiden. Aber jeder würde an seine Rettung appellieren. Warum?

Ich denke, weil jeder ihn aufgrund seiner Intelligenz und seines Erfolges enorm schätzt. Doch warum behandeln wir nicht jeden als wäre er so intelligent und erfolgreich wie Hawking?

Menschen sind uns doch sympathischer, wenn sie mehr Potential in uns sehen als wir selbst. Ich finde, wir sollten genau mit dieser Grundeinstellung auch auf die Patienten der Corona-Station schauen.

Zudem ist es doch äußerst paradox, dass wir mit unserer Wissenschaft so sehr nach einer längeren Lebensdauer streben, aber bereits alten Menschen im gleichen Atemzug einen geringeren Wert als Mensch zuzuschreiben vermögen.

Und die Vorerkrankungen mancher Individuen sind nicht nur selbstverschuldet. Wir als Gesellschaft haben doch die Verantwortung, dass jeder Bürger ein ausreichendes Gesundheitsbewusstsein besitzt, welches ihn vor lebensstilbedingten Krankheiten schützt, oder?

Eine sehr kontroverse Debatte…